Wielands Editoren

Wieland selbst hat angegeben, Werke mehr als zehnmal überarbeitet und abgeschrieben zu haben, bevor er sie für den Druck freigab. Nur wenige Entwurfshandschriften haben sich indes erhalten. Sie zeugen von der intensiven Arbeit des Dichters selbst an kleinen Textdetails. War das Werk gedruckt, durchlief das Werk für die Neupublikation wiederholt eine intensive Überarbeitung, wie Wielands ›Neuer Amadis‹ belegt. Hier war der Erstdruck Ausgangspunkt für die Fassung letzter Hand. Für seine permanente Arbeit an den eigenen Texten war Wieland berüchtigt. Goethe merkte 1795 an, »daß ein verständiger, fleißiger Literator, durch Vergleichung der sämtlichen Ausgaben unsres Wielands allein aus den stufenweisen Korrekturen dieses unermüdet zum Bessern arbeitenden Schriftstellers, die ganze Lehre des Geschmacks würde entwickeln können.«

Seine ›Sämmtlichen Werke‹ setzten auch Maßstäbe in der Textredaktion. Wieland überarbeitete für sie das Gros seiner Werke und etablierte damit das Prinzip der ›letzten Hand‹ als verbindlichen Standard für autorisierte Sammelausgaben. Göschen ließ die Druckbogen für die besseren Ausgaben in Quart, Groß- und Kleinoktav abschließend noch einmal sorgfältig Korrektur lesen.

Die Ausgabe bot zu einigen Werken sogar Varianten früherer Ausgaben. Darin war ihr die Kehler Voltaire-Ausgabe vorausgegangen. In den Variantenapparaten gab Wieland Einblicke in die Dichterwerkstatt, indem er manche Änderung poetologisch begründete.

Zum anderen dokumentierte er damit aber auch die rechtlich geforderte Neugestaltung, die seine Werke zu neuen Werken machte und ihm mit dem Urheberrecht auch die Verfügungsgewalt über seine bereits anderen Verlegern verkauften Werke zurückgab.

Wie die zahlreichen Erläuterungen belegen, die mit klarer Handschrift in einer zeitgenössischen Wieland-Ausgabe notiert sind, bargen Wielands anspielungsreiche und auf einer immensen Bildung basierende Texte schon zu seinen Lebzeiten so manche Herausforderung für den Leser. Auch hier machte Wielands Ausgabe letzter Hand erste Angebote mit Anmerkungen und Glossaren , durch die der Autor dem Leser so manche Hürden des  Textverständnisses überwinden half.

Wieland inspirierte auch die junge Disziplin der neugermanistischen Editionswissenschaft. Zwar wurden Schiller, Herder und Goethe schon vor ihm durch historisch-kritische Werkeditionen gewürdigt. Doch konnten die herkömmlichen lemmatischen Apparate den Prozeß der Textentstehung nur unzulänglich wiedergeben. Hier erwies sich Friedrich Beißners Methode des Apparates als bahnbrechend, die er erstmals an Entwurfshandschriften Wielands erprobte. In seiner Abhandlung ›Neue Wieland-Handschriften‹ rekonstruierte er die zeitlichen Abläufe des Entwurfs in einer treppenartigen, leicht nachvollziehbaren Anordnung. Stellenweise kommentiert und interpretiert Beißner die Befunde. Mit der neuen Methode sah er sich in der Lage, die schwierigen Entwurfshandschriften Hölderlins zu edieren. Später kritisierte man seine Rekonstruktionen des Schaffensprozesses wegen ihres zuweilen spekulativen Charakters. Allerdings hatte Beißner selbst schon seine Darstellung als idealisierte Annäherung an den nicht rekonstruierbaren kreativen Prozeß beschrieben. Das Manuskript seiner bedeutenden Arbeit hat sich erhalten und wird heute im Wieland-Forschungszentrum aufbewahrt. Die neue historisch-kritische Ausgabe von ›Wielands Werken‹ bedient sich dagegen einer synoptischen Darstellungsweise, die Wielands Änderungen zeilenweise erfaßt und die Abläufe des Schreibprozesses näher am Handschriftenbefund dokumentiert.